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Prosa:
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Die Wand
Schräg vor meinem Fenster erhebt sich eine Wand. Wie die Gesetzestafel
vom Gipfel des himmlischen Felsens gebrochen, entwuchs mir meine
Tafel aus der Erde heiliger Ahnenschicht. Und es kam mir nie in
den Sinn, mich zu erkundigen, wes Häuserrücken sie sei.
So hoch und breit sie mich auch einladet, überwältigt,
meine Verse in ihren morschen Stein zu prägen, oder gerade
darum erinnert sie mich an meine Schulzeit, denn auch sie war wie
ich einmal ein Kind gewesen, eine kleine Tafel, ja meine Schiefertafel.
In meinem grünen Plüschranzen hat sie gesteckt; immer
guckte ihr lieb Schwämmchen, an einer Schnur hin und her baumelnd,
durch die engen Gassen, die in die Schule führten, den Leuten
nach. Wie groß ist meine Tafel geworden! Eben wusch eine dicke
Wolke mit schäumendem Novemberwasser sie für mich blank
und keusch. Nicht etwa, um auf ihr das ABC zu lernen oder in Karos
die Ziffern der Exempel wieder zu kratzen. - Selbst die Lehrerin
schrie auf, wenn mir der Griffel entglitt. Davon kann hier nicht
die Rede sein - MEINE DICHTUNGEN ersehnt schräg vor meinem
Bogenfenster die gewaltige Tafelwand, meiner Psalme alte Blutauslese.
"Sieh, ich bin deiner Seele Weinberg fortan
", frohlockt
sie bis in mein Herz. Und ich will fürder mein weinrotes Wort
auf den großen Steinrücken sonnenbeschienen pflanzen,
daß es ewig wird! Versperrt er mir auch die Aussicht auf Straßen
und Wiesen, so deutet er hin auf die Ewigkeit, aus der unser Vater
die Welt erschuf. Aus demselben Korn formt der Dichter Gestalt und
verleiht ihr von seinem Odem. Ich habe, seitdem ich mein Zimmer
bewohne, allen irdischen Ehrgeiz verloren. Was führen meine
und die vielen Bücher in Wahrheit für ein kleinliches
kurzes Dasein, um dann in Bibliotheken zu vermodern. Dieser mächtige
Steinkörper des Christopherus trägt meinen Psalm über
die ganze Welt in den Himmel hinein. So wird Gott ihn lesen
Und wenn auch eins alle Häuser der Straßen zerfallen
sein werden, die unsterbliche Tafel, die hohe Wand unerschütterlich
im Stein, in den ich die Sprache krönte, das Wort braute, brausen
ließ. Dichter lächeln, die an ihr vorüberwandeln,
und sie wissen nicht, was sie beseligte; den Verfolgten wird sie
ein schützender Rücken sein, denn ihre unlöschbare
unsichtbare Inschrift ist vom göttlichen Stoffe.
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Wie ich zum Zeichnen kam
Wahrscheinlich so: Meinen Buchstaben ging die Blüte auf -
über Nacht; oder besser gesagt: über die Nacht der Hand.
Man weiß eben nicht - in der Dunkelheit des Wunders. Blicke
ich über einen Grasplatz wie über einen runden Bogen voll
grüner Buchstaben oder über einen herbstlichen Garten,
rauschendem Schreiben der Erdhand, der Urkunde Gottes, so löst
sich das Rätsel. - Wie ich zum Zeichnen kam? Ganz genau wie
das Laub sich nach der Blume sehnt, so zaubert die Sehnsucht meiner
lebendigen Buchstaben das Bild in allen Farben hervor. Nicht zu
erzwingen
Manch einer aber warte nur vertrauend auf den Mai
seiner Schrift.
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Die Eichhörnchen
Mein jüngster Bruder Paul ging so gern mit mir durch den Wald.
Er kannte jeden Baum und jeden Strauch mit seinem Namen; die allerdornigsten
Zweige verstand er sorgfältig, wenn ihn eine Rose anblickte,
zurückzubiegen. Im Grunde pflückte er nie eine Blume vom
Leben, brach nie einen blühenden Ast vom Stamm - gar noch aus
der Sonne oder erfrischendem Schatten übermütig. "Mit
der Schonung der Pflanzen beginnt die Barmherzigkeit!" sagte
er mir oft. Lieber ließ er einige Seide seines aschblonden
Kopfes zurück, als daß er leichtfertig die jungen Dornenstengel
der Sommerbüsche geknickt hätte. Mein Bruder war ein junger
König, ein Mönche, der Himmel sein blauer Dom. Aus dem
schritt er alle Morgen auf die Erde herab, und ich war sehr stolz,
da er mit mir Hand in Hand durch den Wald spazierte. Wenn wir beide
zufällig einen Walnußbaum entdeckten und eine Bank zufällig
in der Nähe stand, hob mein Bruder mich neben sich auf den
Sitz, und wir lauschten auf das Nahen der Eichhörnchen, die
nicht allzulange auf sich warten ließen. Aber wenn auch keine
Sitzgelegenheit zu entdecken war, placierte er mich doch irgendwo;
am liebsten saß ich doch auf seiner Schulter, denn mein toter
Bruder war sehr groß gewachsen, und ich kroch wie ein Käferchen
eben ihm über den duftenden herben Waldboden. Die Walnußbäume
hatte ich überhaupt schon ihrer dicken Hülle wegen, die
den harten Kern umschlossen, so gerne; die kleinen gespalteten Dinger
ersetzten mir und meinem Spielgefährten die Waagschalen, wenn
wir Markt spielten; und ich war den Eichhörnchen sehr dankbar,
wenn sie gerade in der Zeit, in der wir sie beobachteten, sich Nüsse
vom Baum holten, sie recht vorsichtig aus der Umhüllung herausknabberten
und die beiden unschmackhaften Hälften mir sauber in mein geschürztes
Röckchen warfen. Immer kam dasselbe Eichhörnchen, das
hatte ein schokoladenfarbenes Schwänzchen, und ich klatschte
in die Hände, wenn ich es sah, denn es fegte den Wald damit
rein. Plötzlich saß es in der Krone des hohen Walnußbaumes
und krachte sich eine dicke Nuß auf, wie Zickzack durch den
leisen Wald. Die Vögel sangen zwar ungehindert weiter, helle
und dunkelgrüne Lieder, manchmal schlug auch der Kuckuck: der
saß am liebsten in der Blutbuche. Mein Bruder zählte
dann: Kuckuck, Kuckuck, Kuckuck, Kuckuck, Kuckuck, Kuckuck, Kuckuck,
siebenmal - genau so alt war ich.
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In der Morgenfruehe
Ich gehe an Mandelbäumen vorbei, aber die blühen in den
Gärten fremder Häuser, und die Fenster sind auch noch
geschlossen hinter Spitzengeweben. Ich bin unendlich müde,
gewohnheitsmäßig bewegen sich meine Füße vorwärts,
Maschinen sind es, und sie müßten eigentlich unverhüllt
in blauen Sandalen gehen, denn sie sind von goldzagendem Wandel,
wie die Sonne, die aufstieg. Ich kenne die Menschen nicht, die mir
begegnen, ich weiche ihrem Dünkel aus, und ich brauche nur
meinen grauen Mantel abzulegen, um König zu sein. Ich bin unendlich
müde, ich glaube, ich bin im tiefsten Leben erkrankt, aber
die Vorübergehenden merken es nicht, sie heben auf, was lärmend
auf den Straßen liegt, aber sie hören nicht das schmerzliche
Murmeln, das tödliche Verrauschen einer Seele. Da liegt ein
Nachtfalter vor mir - er stirbt - wie dürftig seine Flügel
sind, ein Lumpenhändler war es, ein Vagabund, der sich nachts
auf den Straßen herumtrieb und am Feuerrausch der Lampen endete.
Er stirbt - ich trete ihn tot. Ich denke an ihn - wenn es für
ihn doch einen Himmel, einen blauen Strand gäbe - er würde
dort ein schöner Schmetterling sein. Ich bin unendlich müde
- wenn ich nun auch eines Morgens so daliege, wie der graubraune
Strolch - welcher Fuß würde mich zertreten? Es kommen
Männer an mir vorbei in weißen Sportschuhen und Frauen
schreiten hastig über den Damm. Ich mag diese Frauen nicht
im Ornat, derbgewordene Philisterinnen sind sie - was wissen sie
von der Knabenzeit! Aber das kleine Mädchen mit der Bubenbluse,
es wird mich übermütig zertreten im Scherzwort, im Frühlingslachen.
Ich bin unendlich müde und es beginnt der rücksichtslose
Tag. Der Mann aus Glas mit der Vollstreckungsmappe unterm Arm wartet
vor der Haustür auf mich, heute klebt er die Siegel. Ich muß
ihn zart am Henkel fassen - so ganz vorsichtig, liebevoll, daß
er nur keinen Sprung bekommt. Draußen an dem fremden Hause
blühen die Mandelbäume: der Falter ist tot, ich vergaß,
ihn vom Weg in einen der Gärten zu werfen.
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